Von Kopf bis Fuss hermetisch eingepackt in seinen Schutzanzug, ausgestattet mit Handschuhen bis zu den Ellbogen und mit einer Gasmaske auf dem Gesicht, ist Donovan bei der Arbeit.
„Einen Tatort zu säubern, bedeutet Blut, Knochensplitter, Maden, Fliegen wegzuwischen… alles, was eine Leicht hinterlässt. Wenn ich wieder gehe, muss alles weg sein“, erklärt er.
Mit seinem langen, grau melierten Pferdeschwanz und dem perfekt gebügelten Anzug reinigt Donovan Tatorte in Mexiko; ein Beruf, den er seit 20 Jahren ausübt und den er sich autodidaktisch aus Bücher angeeignet hat.
Trauernde Familien engagieren ihn, um Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche oder Badezimmer zu säubern. Dadurch tritt er wie eine Art wohltätiges Phantom in die Leben der Hinterbliebenen. Er hilft ihnen, sich zu Hause wieder wohl zu fühlen, damit sie endlich anfangen können zu trauern.
„Jedes Mal, wenn ich gehe, ist die Stimmung besser“, sagt er.
Ein kurzer Dokumentarfilm unter der Regie von Louise Monlaü
Regieassistenz: Fernanda Ballesteros
Schnitt: Julien Demond
Produktion: Ladybirds Films, The New York Times Op-Docs
Produktion: Lara Orsoni, Julien Chouvet, Andrew Blackwell, Regina Sobel
Musik: Maxence Dussère
Luftbildkameratechnik: Santiago Arau
Ton: José Miguel, Gildas Mercier
Untertitelung: Sara Schellenberg, Rahel Schneebeli, Julia Schupfner, Joanna Blatter, Meriel Brändli, Lorena Mundt, Isabel Zihlmann (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften)
Interview

Louise Monlaü Regisseurin
„Am Ursprung dieses Projekts lag Telefonanruf eine Stimme, ruhig und intensiv. Die Art von Stimme, die Geschichten erzählt, deren Melodie und Klang das Publikum auf eine Reise mitnimmt.“
- Bitte stell dich doch vor, Louise.
Ich bin in Paris geboren und verbrachte dort auch den größten Teil meiner Kindheit. Als ich jedoch sieben Jahre alt war, ging ich zu meiner Mutter nach Ouagadougou, Burkina Faso, um dort drei Jahre bei ihr zu leben. Sie war zu diesem Zeitpunkt mit meinem Stiefvater unterwegs, der dort ein Tierschutzgebiet errichtet hatte.
Es war eine großartige Zeit; meine erste Erfahrung in der weiten Welt, und ich denke, diese Erfahrung war es, die meine Neugier geweckt hat, andere Kulturen zu erkunden. Sie ist wohl der Ursprung meiner Freude am Reisen und an Abenteuern. So entstand mein ständiges Bedürfnis, meinen eigenen Weg zu suchen.
Später studierte ich dann Soziologie, Wirtschaft und Politikwissenschaften und machte einen Master in International and European Studies am Institut Sciences Po Grenoble. Man könnte meinen, dass meine akademische Karriere nicht viel mit dem zu tun hat, was ich heute mache, doch tatsächlich bietet sie mir eine hervorragende Grundlage die Dokumentarfilmerei. Durch mein Studium habe ich mir die akribische Arbeitsweise eines Journalisten, einen analytischen Ansatz, sowie das nötige Werkzeug angeeignet, um mit meinen Protagonisten effektiv zusammenzuarbeiten.
Nach meinem Abschluss begann ich, mich mit Fotografie zu beschäftigen, indem ich alle möglichen Jobs und Praktika im Bereich Fotografie und Journalismus machte. 2014 zog ich nach Mexiko City mit der Absicht, dort Geschichten zu erarbeiten. Ich reiste mit meiner Kamera quer durchs Land, von Nord nach Süd. Das war der Zeitpunkt, an dem ich zu filmen begann.
Die Fotografie lehrte mich, Szenen und Bildern einen Rahmen zu geben. Durch sie lernte ich, mit dem Licht zu spielen und Geschichten zu erzählen. Der Umstand, dass ich viele Länder bereist hatte, ermöglichte mir, mich in die Lebensweisen vieler verschiedener Menschen hineinzuversetzen und so ihr tägliches Leben einzufangen. Aus diesem Grund filme ich auf dieselbe Weise, wie ich auch fotografieren würde. Für mich sind diese beiden Disziplinen sehr eng miteinander verbunden.

- Wie ist der Film entstanden?
Es war ein Anruf eines Abends im Dezember 2018, der die Geburtsstunde dieses Projekts einläutete. Die Stimme aus dem Hörer war ruhig und eindringlich. Die Art Stimme, die Geschichten erzählt – deren Klang und Melodie das Publikum auf eine Reise nimmt. Am anderen Ende der Leitung war Donovan, dessen Nummer ich von seiner Facebook Seite hatte, die den nüchternen Namen Donovan Tavera, Mexico City, Tatortreiniger, trug.
Am Telefon tauschten wir lediglich ein paar Banalitäten aus. Ich versuchte zwar mehr über ihn zu erfahren, über seine Arbeit, sein Leben und seinen Charakter, doch Schüchternheit hielt uns beide zurück. Diese mysteriöse kommunikative Handlungsunfähigkeit ließ mir aber keine Ruhe mehr, sodass ich zwei Wochen später in einer Maschine nach Mexiko City saß.
- Wie fühlt es sich an, eine „Reinigungsszene“ zu filmen? Welche Erwartungen hattest du?
Der Drehtermin für die Reinigungsszene war in derselben Nacht, in der ich Donovan zum ersten Mal traf. Ich fragte mich, in was für ein Verbrechen wir hineinstolpern würden, was für eine Geschichte oder welches Drama auf uns zukäme. Würde es viel Blut geben? Oder Fliegen? Ich fragte mich, wie wohl die Drehbedingungen oder auch der Geruch sein würden.
Die Zeit zwischen meinem ersten Telefonat mit Donovan und unserem ersten Treffen war so rasend schnell vergangen, dass ich gar keine Zeit gehabt hatte zu hinterfragen, ob ich es überhaupt würde verdauen können, eine derart schockierende Szene unter solch extraordinären Bedingungen zu filmen. Ob ich sowohl psychisch wie auch physisch in der Lage sein würde, mit dem umzugehen, was ich unmittelbar während des Filmens sehen, riechen und fühlen würde.
Der erste Dreh in jener Nacht war anspruchsvoll – nur schon in praktischer Hinsicht, weil ich mich gegen all die potenziell gefährlichen Bakterien am Set schützen musste. Ich trug einen Schutzanzug und eine Vollgesichtsmaske, was jede Bewegung, ja jeden Atemzug zur Qual machte. Andererseits war es aufgrund der Atmosphäre des Ortes auch emotional alles andere als leicht: wegen der beinahe greifbaren Präsenz der Verstorbenen, die noch immer in der Luft hing, und wegen der Trauer der Angehörigen, die bei der Reinigung anwesend waren.

„Ich wollte ein Gefühl der Geborgenheit schaffen, eine emotionalen Nähe. Wie die zarte Verbindung zwischen zwei Personen, die ein Geheimnis teilen.“
- Donovans Arbeit ist ziemlich außergewöhnlich.
Was genau beinhaltet sein Beruf?
Donovan wird direkt von den Familien der Verstorbenen kontaktiert, nachdem Sanität und Polizei vor Ort waren und allfällige Ermittlungen abgeschlossen sind. Nachdem die Person verstorben ist – meist unter tragischen Umständen – kann es Wochen oder sogar Monate dauern, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind. Das kann eine sehr, sehr lange Zeit für die Familien sein, die nicht an den Ort der Tragödie zurückkönnen.
Donovan stellt eine Art Befreier für sie dar, und die Familien bezahlen ihn direkt. Der Preis variiert je nach Dauer seines Einsatzes.
Forensische Reinigung ist ein vollkommen legales Berufsfeld. Für jeden Auftrag muss Donovan einen aufwendigen Prozess durchlaufen. Beispielsweise muss er bei den Behörden erst einen Antrag einreichen, um sicherzustellen, dass die Ermittlungen abgeschlossen sind und keine Beweismittel vernichtet werden.
- Wie ist Donovan zu dieser Arbeit gekommen?
Donovan hat sich alles selbst beigebracht. Er erzählte uns, dass er sich zu Beginn mittels Chemiebüchern in die verschiedenen Reinigungsmittel eingelesen hat. Er sucht noch heute oft die Antiquariate in der Calle Donceles auf, stöbert stundenlang in den verstaubten Bücherregalen der Chemieabteilung und schreibt sich interessant scheinende Mixturen, Lösungen und Rezepturen heraus.
In einem kleinen Innenhof hinter seinem Haus hat Donovan eine Art Labor aufgebaut, wo er seine eigenen Mixturen für die Reinigung testet.

- Wie ist seine Beziehung zum Tod und wie schützt er sich vor negativen Emotionen?
Donovan ist ein Mann voller Ambivalenzen. Zum einen geht er sein Handwerk mit einer fast schon chirurgischen Präzision an. Wie er darüber spricht, wie er mit seinen Utensilien umgeht, wie er die Orte reinigt. Man könnte ihn beinahe als besessen bezeichnen.
Andererseits ist er eine sehr spirituelle Person. Ich weiß nicht, ob er sich dessen bewusst ist und ob er es auch so sehen würde, doch was er uns im Film über sich erzählt, spricht Bände: Seine Ausführungen über seine Beziehung zu Blut und seinem Respekt davor oder über seinen wiederkehrenden Traum sind ein deutlicher Hinweis für seine emotionale Verbundenheit und Spiritualität.
Donovan erzählte uns das alles, während der Pausen in unseren Interviews, während die Kamera allerdings noch lief. Er hielt diese Anekdoten nicht für interessant, doch ich dachte, sie sollten zu einem zentralen Teil des Films werden. Ich fragte ihn, ob er damit einverstanden sei, die Passagen im Film zu verwenden, da sie zutiefst berührend seien, worauf er nur antwortete: „Ja, aber ich wüsste nicht, wieso das jemanden interessieren sollte.“
- Ein Großteil des Films wurde bei Nacht gedreht.
Wieso hast du diese ästhetische Entscheidung getroffen?
Die Nacht hat etwas Faszinierendes. Es ist die Zeit, in der alles möglich scheint, die Zeit für Verbotenes, für Gesetzesbrüche. In der kollektiven Vorstellung ist die Nacht auch der Schauplatz der Kriminellen. Ich mochte die Idee, Donovans Arbeit mit dieser Zeit des Verbrechens zu verbinden. Das eine ist die Folge des anderen, die beiden Dinge sind auf intrinsische Weise miteinander verbunden.
Ich wollte damit auch eine Art Sonderbarkeit erzeugen, die ich auch in Donovan sehe. In der Nacht zu drehen, verstärkt diesen Aspekt. Ich wollte, dass sich das Publikum von der Nacht fest umschlossen fühlt. Ich wollte Intimität herstellen, als ob ihm ein Geheimnis anvertraut wird.
Außerdem hatte diese Entscheidung auch einen praktischen Grund: Donovan lebt und arbeitet bei Nacht. Er reinigt alle Tatorte nachts und steht normalerweise nicht vor dem Mittag auf. Das hat mich sofort fasziniert an ihm.

- Was kannst du uns über die Produktion des Films erzählen?
Am Anfang habe ich alles selbst finanziert. Damals lebte ich noch in Paris und hatte ein wenig Geld gespart. Aus einer Laune heraus ging ich für einen Monat nach Mexiko City und traf dort Donovan.
Mein Traum, mein Ziel war es, dass mein Film eines Tages auf der New York Times Op-Docs Plattform publiziert wird – trotz der Tatsache, dass es mein erster Film war und ich noch nie mit denen in Kontakt war.
Ich ging nach Mexiko, um mich auf die Suche nach einem Drehort für den ersten Trailer zu machen. Als ich dies getan hatte, klickte ich einfach auf pitch your film auf der Op-Docs Plattform, um mein Projekt vorzustellen. Es dauerte sechs Monate, bis ich eine Antwort erhielt. Und es stellte sich heraus, dass sie interessiert waren. Danach wurde ich von der Produktionsfirma Ladybirds Films unterstützt. Nach drei Wochen kehrte ich nach Mexiko City zurück, um den Film fertig zu stellen. Schließlich wurde der Film an die New York Times geschickt.
Die meisten meiner Filme werden von meinem Bruder geschnitten. Er hat eine Menge Erfahrung. Es ist mir sehr wichtig, während dieser Phase der Produktion mit ihm zu arbeiten. Mit ihm fühle ich mich frei und sicher. Ich traue mich, Dinge auszuprobieren. Der Schnitt ist in der Regel ein Schlüsselmoment während des Erstellens eines Films. Es kann sehr schwierig sein, deswegen ist es sehr wichtig für mich, von den richtigen Leuten umgeben zu sein.
- An welchen Projekten arbeitest du gerade?
Gerade arbeite ich an einer Doku-Serie und einem Spielfilm. Ich bin noch bei beidem im Schreibprozess. Nach Donovan wurde mein zweiter Kurzfilm Rocio and me auf der Website des Magazins The New Yorker veröffentlicht und ich konnte mit Al Jazeera einen Kurzfilm über Tänzer-Aktivisten in Lagos, Nigeria drehen. Es war eine unglaubliche Erfahrung!

- Würdest du noch etwas zu „99“ und der mehrsprachigen Untertitelung deines Films sagen?
Als ich anfing, Regie zu führen, schaute ich mir eine Menge Filme auf „99“ an. Es war eine großartige Quelle der Inspiration für mich, sei es für die Regie, den Stil oder die Motive. Ich habe es geliebt, bei euch herumzustöbern.
Ich bin sehr glücklich darüber, dass Donovan sein Zuhause bei „99“ gefunden hat. „99“ ist ein wundervolles Projekt, das Filmschaffenden hilft, ihre Filme zum Leben zu erwecken und sie mit so vielen Menschen wie möglich zu teilen. Da die Produktion und der Vertrieb eines Films lange dauern, und der Weg, einen Film zu machen, schon genügend Hürden mit sich bringt, sind solche Projekte ein echter Segen und eine wichtige Starthilfe für Filmschaffende. Ich bin begeistert, dass Donovan jetzt in mehreren Sprachen verfügbar ist. So erreicht er andere Kulturen und überwindet Grenzen, wodurch er mehr Reichweite erzielt.
- Gibt es einen Film auf „99“, der dir besonders gefallen hat?
Mir hat Blood Rider sehr gefallen. Ich war gerade dabei, den Dreh in Nigeria vorzubereiten, als ich ihn entdeckte. Das hat mir geholfen, mich besser vorzubereiten und ein Gefühl dafür zu bekommen, in welche Richtung meine Reise gehen würde. Der Film repräsentiert die Atmosphäre in Lagos auf eine wunderschöne Art und Weise. Eine Stadt, die pulsiert wie keine andere der Welt. Die Spannung, die sie ausstrahlt, ist einzigartig, und der Film verkörpert diese durch die haarsträubenden Motorradszenen perfekt. Da bleibt einem der Atem weg! Dieser Film ist ein Meisterwerk in Regie und Schnitt.