Regie: Ivan Olita Kameraführung: Luigi Martinucci Produzenten: Andre Bato, Paulina Salas, Juan Robles, Michael Matus Musik: JEAN Ton: Gustavo Mora, Jose Velasco Kalibrierung: Roy Sun Übersetzung: Lena Roche
Interview
Ivan Olita
Regisseur
„Aus erzählerischer Sicht interessiert mich der Schnittpunkt zwischen Realität und Fiktion.“
Wie hat das Projekt begonnen?
Ich war auf einem Seminar mit Werner Herzog, und eine der Teilnehmer*innen zeigte uns ein kurzes Video über „Las Velas“, eine große Parade der Muxes, die jedes Jahr in Juchitán, Oaxaca, stattfindet. Am Ende der Parade wird eine Königin gewählt.
Ich war sofort von diesen Persönlichkeiten fasziniert und wollte mehr über sie erfahren. Das Video dauerte nur ein paar Minuten und ging nicht wirklich in die Tiefe, also verspürte ich den Drang, tiefer einzutauchen. Ich wollte mehr über ihr tägliches Leben erfahren, über das hinaus, was man bei „La Vela“ sieht.
Ein paar Monate später, als ich gerade meinem Alltag nachging, stieß ich auf einen Artikel der New York Times über die Muxes. Das war für mich ein Zeichen, dass ich dieses Thema weiterverfolgen musste. Am nächsten Tag begann ich mit der Vorproduktion.
Wie liefen die Dreharbeiten?
Ich kam in Juchitán an, ohne die geringste Ahnung, wie ich die Muxes finden sollte. Das ist so eine Art Doku, bei der die Recherche während der Vorproduktion ziemlich begrenzt ist. Man muss tatsächlich an den Ort reisen, den man dokumentieren will, und dort einfach anfangen.
Vor Ort traf ich schnell auf einen lokalen Regisseur, Michael Matus, der uns bei der Produktion des Films half. Er stellte mir die Muxes vor, und dafür bin ich ihm sehr dankbar! Wir sind in diesen kleinen Autos kreuz und quer durch die Stadt gefahren. Die erste Woche in Juchitán bestand nur darin, die Muxes kennenzulernen – ihre Häuser, ihre Familien, die Restaurants und Märkte, in denen sie arbeiten…
Da es sich um ein Chorwerk handelt, habe ich nach Persönlichkeiten gesucht, die gut zusammenpassen. Aber es wäre falsch zu denken, dass alle Muxes gleich sind. Innerhalb der Gemeinschaft gibt es natürlich eine große Vielfalt.
In deinem Film hören wir starke, entschlossene und optimistische Stimmen. Wie sieht die Realität aus?
Die Muxes sind absolut Teil des Stadtbilds: Sie werden von den Dorfbewohner*innen geschätzt, und die meisten Familien sehen es als Segen, eine Muxe in ihrer Familie zu haben. Da sie selten heiraten, kümmern sie sich oft um ihre älteren Angehörigen. Es war unglaublich beruhigend und herzerwärmend zu sehen, wie 100 % der Menschen in Juchitán die Muxes feiern und sie als Bereicherung betrachten. Sie wissen, dass die Muxes etwas Besonderes mitbringen.
Muxes sind ein drittes Geschlecht, und ihre Präsenz hat die Entstehung neuer kultureller und sozialer Normen angestoßen. Auf eine gewisse Weise sind sie ikonisch und werden als eigenständige Persönlichkeiten gefeiert.
Gleichzeitig leben sie in einem sehr gewöhnlichen und oft unterentwickelten sozialen Umfeld: Juchitán ist definitiv ein armes Dorf. Für mich schwanken sie ständig zwischen unantastbaren, wunderbaren, kraftvollen Wesen und Menschen, die mit den Problemen des Alltags zu kämpfen haben – oft auf ziemlich harte Weise. Dass eine Muxe als Sexarbeiterin tätig ist, ist leider immer noch eine Realität.
Dein Film wirkt traumhaft, fließend, farbenfroh. Wo verläuft die Grenze zwischen Fiktion und Realität?
Werner Herzog sagte uns: „Fakten sind nicht wahr.“ Aus erzählerischer Sicht interessiert mich der Schnittpunkt zwischen Realität und Fiktion.
Mir geht es eher darum, die Wahrheit zu vermitteln, weil die Wahrheit oft tiefer geht als die bloßen Fakten. Wahrheit hat eine vielschichtigere Bedeutung. Damit das Publikum die Wahrheit versteht, braucht es eine visuelle Gestaltung.
Da ich in der Modebranche gearbeitet habe, habe ich einen sehr stilistischen Ansatz. Es spielt keine Rolle, wo ich bin oder wo ich drehe: Meine Arbeiten haben immer eine sehr filmische Qualität. Ich lege großen Wert auf die surreale Anmutung des Werks.
Ein Wort über 99.media und die mehrsprachigen Untertitel deines Films?
Ich bin einfach sehr dankbar für die Mühe, die Leute wie ihr euch macht, um Filmemacher*innen wie mich zu unterstützen. Es ist unglaublich, dass ihr meinen Film Muxes in eure Auswahl aufgenommen habt.
Die Möglichkeit, den Protagonist*innen von Filmen (vor allem denjenigen, die sich mit Minderheiten beschäftigen) buchstäblich eine Stimme zu geben – durch Untertitel –, ist ein großartiges Werkzeug für ihre Verbreitung.
Ohne eure Hilfe hätten es Indie-Filmemacher*innen definitiv schwerer. Dafür bin ich euch unendlich dankbar, und das sollten auch alle anderen sein, die das Glück hatten, mit 99 zusammenzuarbeiten!
Abonnieren Sie unseren Newsletter
Wir informieren Sie sobald ein neuer Dokumentarfilm erscheint.