„Sandmänner“: drei Leben am Rande einer wohlhabenden Gesellschaft, von Rumänien nach London
Neculai, Aurel und Raj verliessen ihr Zuhause in Rumänien alle mit dem gleichen Ziel: Sie möchten ihren Familien ein besseres Leben bieten.
Da ihre Liebsten auf ihre Unterstützung angewiesen sind, versuchen sie in England mithilfe von Sandskulpturen zu überleben.
In der ihrer Not versuchen sie verzweifelt Hoffnung zu finden, aber der Gedanke an die Zukunft ihrer Kinder gibt ihnen die Kraft unermüdlich weiterzumachen.
Regie: Tal Amiran Kameraführung, Bearbeitung: Tal Amiran Ton: Rick Blything Musik: Oli Harrison Geräuschemacher: Louise Brown Übersetzung: Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (Natalie Dietrich, Arlena Bischof, Angie Blagojevic, Bigna Brunner, Julian Brutschy, Dúnya Celik, Jessica Cooper, Yasmina Danioth, Jacoba Denker, Maja Djordjevic, Leila Elisa, Marisa Germino, Seraina Gurtner, Lea Kemper, Nicole Lüthi, Michelle Marty, Ramona Meier, Nadja Michlig, Joana Oehen, Julia Perrucci, Annique Reichen, Ksenia Sadovnikova, Lara Saggese, Willian Santos Gonçalves, Laura Schmid, Dana Schüpfer, Nadja Sollberger, Sinem Soysal, Majda Topic, Nina Tschanz, Mattia Turra, Luana Werdenberg, Natascha Kleber
Interview
Tal Amiran
Regisseur
„Für mich ist es beinahe unvermeidlich, dass sich eine enge Freundschaft zu den Charakteren entwickelt.“
Wie kam es zu diesem Projekt?
Ich bin zufällig auf die Idee gekommen, “Sandmänner” zu drehen. Ich arbeitete eigentlich an einem anderen Film. Eines Morgens, als ich mit meinem Fahrrad auf dem Weg zu meinem Studio war, fuhr ich per Zufall an einer Sandskulptur eines Hundes auf der Holloway Road vorbei. Die Holloway Road ist eine sehr belebte Strasse in London. Ich hielt sofort an, um mir die Skulptur anzusehen.
Es war irgendwie surreal, eine Sandskulptur eines Hundes auf dem “schäbigen” Bürgersteig zu sehen. Eine solche Sandskulptur sieht man sonst eher an einem sonnigen Tag am Strand in den Ferien. Ich blieb stehen und betrachtete die Skulptur und den Sandkünstler ein paar Minuten. Ich erfuhr später, dass er Rumäne war. Im Nachhinein wurde mir klar, dass solche Skulpturen nicht ungewöhnlich sind. Es gibt viele weitere Rumänen, die überall in Grossbritannien ähnliche Sandskulpturen anfertigen.
Wie hast du Aurel, Neculai und Raj kennengelernt?
Die Protagonisten zu finden, war nicht so leicht, wie ich es mir anfangs vorgestellt hatte. Mir wurde gesagt, dass es in Nord- und Westlondon ziemlich viele solche Sandkünstler gibt. Es war aber eine ziemliche Herausforderung, sie zu finden. Ich habe Tipps von Leuten bekommen, die sagten, sie hätten die Bildhauer gesehen, und Ladenbesitzer habe ich gebeten, mich anzurufen, wenn sie auf einen stossen würden. Es war schwierig, sie zu erwischen, da sie ihre Standorte sehr oft wechseln. Schliesslich stiess ich dann auf Aurel, Neculaj und Raj. Wir begannen uns zu unterhalten, und sehr schnell entstanden Freundschaft und Vertrauen, was mir ermöglichte, das Projekt zu beginnen.
Die grösste Herausforderung während der Produktion war die Sprachbarriere, da keiner der drei Männer Englisch sprach. Wir mussten mithilfe von Google-Übersetzer und einem Dolmetscher kommunizieren. Der Film wäre nicht zustande gekommen, ohne die Hilfe dreier toller rumänischer Dolmetscher, die beim Drehen und bei der Postproduktion mit mir gearbeitet haben.
Deine Aufnahmen zeigen ein graues, tristes London, mitten in einer Krise, in einem Verfall. Die Art, wie die Geschichte erzählt wird, wirkt relativ distanziert. Was für ein Ansatz steckt dahinter?
In meinen letzten beiden Kurzdokus habe ich einen ähnlichen stilistischen Ansatz gewählt, nämlich den des Cinéma Vérité. Anschliessend habe ich Interviews mit den Protagonisten aufgenommen, die ich später als Voiceover über das Bildmaterial legte.
Ich mache mich nie mit einem fest vorgefassten Plan an einen Film. Es beginnt immer mit reiner Neugierde zu einem bestimmten Thema und den Menschen. Nach und nach erfahre ich mehr über das Thema und lerne die Mitwirkenden besser kennen. Wenn ich einen Film drehe, steckt allerdings immer ein grösseres Thema dahinter, an dem ich interessiert bin. Im Fall von «Sandmänner» war das die Immigration und die in England bestehende Anti-Einwanderungsstimmung der letzten Jahre, die schliesslich in den Ergebnissen des Brexit-Referendums mündeten, was ich als sehr traurig empfinde. Ich hoffe, dass es mir gelingt, eine grössere Geschichte zu erzählen, indem ich den Fokus auf individuelle Geschichten richte, ohne belehrend zu sein und dem Publikum vorzuschreiben, was sie denken sollen.
In meinen Filmen lade ich das Publikum dazu ein, sich auf eine Reise zu begeben und sich dabei eine eigene Meinung zu bilden. Der Film hat ein offenes Ende und gibt den Zuschauer*innen die Möglichkeit, ihre eigenen Gedanken und Emotionen hineinzubringen.
Hast du noch Kontakt zu Aurel, Neculai und Raj?
Ich pflege regen Kontakt mit zwei der Protagonisten. Denn wenn man Dokumentarfilme dreht, dann arbeitet man nicht mit Schauspielern zusammen, sondern mit echten Menschen. Für mich ist es beinahe unvermeidlich, dass sich eine enge Freundschaft zu den Charakteren entwickelt.
Es entsteht eine Bindung zwischen mir und den Mitwirkenden. Auch wenn wir nicht jeden Monat miteinander telefonieren, bleiben wir doch in Kontakt, und ich freue mich immer, wenn ich helfen kann. Ich habe damals auch eine Kampagne auf der Internetplattform «GoFundMe» ins Leben gerufen, um Spendengelder für die Protagonisten zu sammeln.
Kannst du uns von deinen laufenden Projekten erzählen?
Der Film wird etwas länger als meine beiden vorherigen Kurzfilme. Ich freue mich darauf, ihn den Zuschauer*innen zu zeigen, sobald er fertig ist!
Was meinst du zu 99 und den multilingualen Untertiteln für deinen Film?
Ich schätze die Arbeit von 99 sehr. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Film in verschiedene Sprachen übersetzt wird. Meiner Meinung nach ist diese Arbeit sehr wichtig, denn damit wird die Reichweite des Films erhöht. Ausserdem wird der Film einem Publikum zugänglich gemacht, das sonst aufgrund der Sprachbarriere vielleicht keine Chance hätte, diese Filme zu sehen.
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